Strecke Wien – Köln

Johannn Strauss

 

 

Themenskizze, Exposé

 

Ingeborg Havran:

 

Johann Strauß – Vater (1804 – 1849) & Der Walzer (Teil I)

 

Der Beginn einer Geschichte ...

 

1872 Boston, World Peace Jubilee-Fest: Johann Strauß-Sohn führt mit 100 Subdirigenten und 20000 Orchestermusikern und Sängern seinen Walzer „An der schönen blauen Donau“ auf. Frenetischer Beifall. Begeisterte Damen bitten Strauß um ein Andenken: um Haare vom Haupt des berühmten Musikers. Strauß kommt dieser Bitte angeblich mit der Gabe von Haaren seines Hundes nach.

 

Die Episode zeigt Attribute moderner populärer Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts: Internationalität, Unterhaltung für die Massen, Professionalisierung, Starkult, Kommerzialisierung des Musikbetriebes

Legendenbildung und Medienpräsenz. Johann Strauß-Vater und Johann Strauß-Sohn führen mit der Komposition ihrer Walzer ein musikalisches Genre zu seinem Höhepunkt, das im 19. Jahrhunderts zum Herzstück bürgerlicher Geselligkeit wird.

 

Walzer (mittelhochdeutsch waltzen: sich drehen), Paartanz im Dreivierteltakt, der um 1770 im österreichisch-süddeutschen Raum aus dem Ländler entstanden ist. Außerdem gilt die Bezeichnung für die Musik dieses Tanzes. Der Walzer wird in geschlossener Haltung in schnellen Drehungen und mit einem festen Schrittmuster getanzt. Was sich als technische Beschreibung harmlos ausnimmt, bedeutete in der Lebenswirklichkeit aller vorausgehender Jahrhunderte eine Provokation und war ein gesellschaftliches Tabu. Das Tanzvergnügen zu Zweit in engem Körperkontakt und verwirrender Drehbewegung war anstößig, weil es erotische Wünsche hervorrief und sexuelle Sehnsüchte und Triebe aktivierte.

 

1815 Wien, Wiener Kongress: die Fürsten Europas sind versammelt, um die Machtbereiche nach dem Sieg über Napoleon neu zu ordnen. Während der monatelangen Verhandlungen finden ununterbrochen Feste und Bälle statt - der Kongress tanzt! Vor allem tanzt man den Walzer – und dies nicht nur in den Palästen, sondern auch in den Lokalitäten der Wiener Vorstädte. Adel, gehobenes und niederes Bürgertum und das einfache Volk drehen sich im ¾-Takt. Der Walzer, der im Frankreich der Revolution das höfische Menuett ablöste und für den Adel eine tänzerische Provokation darstellte, wird nach dem Sturz Napoleons nicht abgeschafft, sondern von der restaurativen Gesellschaft angenommen. Diese Ständenivellierung durch einen Tanz ist revolutionär und verweist auf ein Lebensgefühl, das quer durch alle Schichten ging. die Erfahrung von Sinnlichkeit und Rausch in der Öffentlichkeit war kein Sakrileg mehr.

 

 

Johann Strauß-Vater (1804 – 49):

Gründer der europäischen Walzer Gemeinschaft

Geiger, Dirigent und Komponist

Walzerkönig und Unterhaltungskünstler

Manager und Marktbeherrscher

 

150 Walzer hat Johann Strauß-Vater geschrieben. Nicht weniger erfolgreich als Komponist war er als Geiger, der bei seinen Auftritten faszinierte und eine wahre Tanzwut beim Publikum auslöste. Richard Wagner beschreibt die Wirkung von Johann Strauß anlässlich des Besuches in den Straußesälen in Wien so: „... die gesamte Zuhörerschaft durch Johann Strauß in Flammen gesetzt. Dieser Dämon des Wiener Volksgeistes erzitterte beim Beginn eines neuen Walzers wie eine Pythia auf dem Dreifuß. Und ein wahres Wonnegewieher des wirklich mehr von seiner Musik als von den Getränken berauschten Auditoriums trieb die Begeisterung des zauberischen Vorgeigers auf beängstigende Höhe.“ Dieses Vermögen hatte Strauß den unzähligen Geigern des damaligen Wien voraus.

 

Wien war an der Wende zum 19. Jahrhundert nach den Metropolen London und Paris die drittgrößte Stadt Europas und seit Generationen ein Mittelpunkt des musikalischen Geschehens in der westlichen Hemisphäre. Im Laufe des 18. Jahrhunderts war unter der kulturfördernden Politik Josefs II die Bedeutung Wiens weiter gewachsen. Wien stand für ein breites musikinteressiertes Publikum, das alle Stände umfasste und wo man „Ernste Musik“ wie auch „Unterhaltungsmusik“ schätzte. Strauß-Vater wuchs in diesem Klima auf, wo es auch für unterprivilegierte Schichten nicht unüblich war, das Geigenspiel zu lernen. Musikalisches Genie und organisatorisches Vermögen machten Strauß vom armen Waisen zum Walzerkönig Europas:

 

Abkunft

1804 Wien: am 14.03.1804 wird Johann Baptiste Strauß als Sohn des Bierwirtes der Schenke „Zum St. Florian“ in der Wiener Vorstadt Leopoldstadt geboren. Strauß’ Vorfahren mütterlicher- und väterlicherseits stammen alle aus sozial niederen Schichten. Sie wechselten häufig den Beruf, versuchten sich als Wirte, Bauern oder Kutscher – ausnahmslos ohne zunftmäßige Ausbildung. Als Johann sieben Jahre alt ist stirbt seine Mutter. Mit zwölf verliert er den Vater, der sich – hochverschuldet – in der Donau ertränkt.

 

Aufstieg

1817 Wien: ab 1817 absolviert der verwaiste Bierwirtssohn eine Lehre als Buchbinder. Sein Lehrherr Johann Lichtsscheidl  erkennt das musikalische Talent und schickt ihn zusammen mit seinem eigenen Sohn zum Violinunterricht. Zudem darf Johann Strauß neben seiner Ausbildung bei kleinen Musikgruppen als Bratscher mitspielen und bekommt – außer einer Aufbesserung der finanziellen Mittel – zunehmend Routine als Musiker. Nach Abschluss der Lehre steht fest: nicht bürgerlicher Beruf, sondern Musiker ist Strauß’ Ziel. Strauß verdingt sich 1822 als Bratscher in Josef Lanners Tanzmusiktrio, das nun zum Quartett wird.

 

Violinist

Lanner und Strauß werden unzertrennlich, sie wohnen sogar zusammen. Das Quartett wird erweitert zum Orchester und debütiert 1824 in einem Kaffeehaus im Prater. Um gleichzeitig zwei Engagements annehmen zu können wird das Orchester bald geteilt in zwei Lannerkapellen. Lanner leitet das eine, Strauß – der nun auch Geige spielt – das andere. Besonders hervorzuheben ist die Perfektion, mit der Strauß probt, wie auch sein virtuoses Violinspiel. Zu den Auftritten in den Etablissements, Ballhäusern und Lokalen der Wiener Vorstädte kommen die Besucher in Scharen. Wien hatte damals etwa 300 000 Einwohner, man schätzte, dass ein Drittel davon regelmäßig zu Tanz- und Konzertveranstaltungen gingen.

 

1825 kommt es zum Bruch zwischen Lanner und Strauß und ab 1828 sind die Beiden heftige Konkurrenten. „Lannerianer“ und „Straußianer“ können den Aufstieg ihrer Idole zu Walzerkönigen getrennt verfolgen.

 

Komponist

Vom Geiger bzw. dem Dirigent eines Orchesters wird erwartet, dass er auch komponiert. Zunächst hatte Strauß dies im Auftrag Lanners getan, als er zum Alleinunternehmer wird komponiert er eine Unzahl von Walzern für die verschiedensten Gelegenheiten und Orte seines Auftritts. 1828 gibt Paganini ein Gastspiel in Wien und sorgt mit seinem virtuosen Geigenspiel für eine Sensation. Lanner lässt sich zu einem Potpourri inspirieren, Strauß komponiert die „Walzer à la Paganini“ op.11. Die Aufführungen haben so starken Zulauf, dass Strauß viele Klavierauszüge absetzen und zum ersten Mal Eintrittspreise verlangen kann. Nun wechselt Strauß auch seinen Verleger: hatte von 1827 an Anton Diabelli & Comp. die Straußschen Kompositionen gedruckt, so übernimmt nun der Lanner-Verleger Haslinger diese Aufgabe. Strauß’ Erfolg lässt sich daran messen, dass Haslinger den Druck des ersten Walzers von Chopin zurückstellt und nur noch Strauß druckt, denn alle Leierkästen Wiens spielen Strauß!

 

Die Verfertigung von Unterhaltungsmusik bedeutete zügiges Arbeiten nach einem Modell, das die serienmäßige Produktion erlaubte. Das Walzermodell umfasste ein Introduktion, fünf aufeinanderfolgende „Perlen“ (Walzer) , sogenannte Walzerketten, und eine Coda. Strauß und auch Lanner hatten wohl große Routine beim Komponieren, was ihre Werke jedoch angeht, so zeichnen sie sich durch Sorgfalt und kompositorisches Können aus.

 

Manager

Strauß’ Talent als Organisator steht dem des Geigers und Komponisten nicht nach. 1829 gelingt es ihm, Lanner von der Stelle des Musikdirektors im Ballhaus von Sperl zu verdrängen. Ein Sechs-Jahres-Vertrag verlangt Strauß viel Arbeit ab. Morgens komponiert er, stellt Programme zusammen, organisiert sogenannte Produktionen – aufwändig gestaltete Feste –, er schreibt Rechnungen, probt am Tag mit seinem 14-Mann-Orchester und tritt bis spät in die Nacht als Geiger und Dirigent auf. An Fasching 1830 stehen ihm 200 Orchestermusiker zur Verfügung und so kann Strauß an einem Tag mehrere Engagements annehmen. Er selbst fährt im Fiaker von Lokal zu Lokal, um der Werbung gerecht zu werden, die seine persönliche Leitung ankündigt. Der Star muss selbst anwesend sein!

 

Nationaler und internationaler „Walzerkönig“

Der außergewöhnliche Erfolg in Sperls Ballhaus verschafft Strauß weitere Engagements. Ab 1831 leitet er die Ballmusiken am Kaiserhof, 1832 die Fronleichnams-Feierlichkeiten des Bürgerregiments, 1846 wird er Wiener k.k. Hofball Musikdirektor – Adel und Bürger tanzen zur selben Musik! 1833 wird die Auslandsreisensperre, die seit der Revolution von 1830 in Frankreich galt, aufgehoben. Strauß geht als erster mit Tanzmusik auf Kunstreisen. Als Repräsentant dieser Wiener Musik zieht er durch ganz Europa und sorgt damit für den internationalen Erfolg des Walzers . Höhepunkt seiner Auslandsreisen bildet die von Oktober 1837 bis zum Jahresende 1838 durch Deutschland, Frankreich, Niederlande, England, Irland und Schottland. In London spielt er mit seinem Orchester anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten der Queen Victoria.

 

Die Resonanz auf Strauß’ Auftritte ist gewaltig: die Presse bringt Sensationsberichte, die Musikkritiker sind begeistert und die anderen großen Musiker seiner Zeit schätzen ihn: Schumann, Liszt, Wagner, Berlioz, Meyerbeer, Auber und Cherubini. Am 16. April 1843 stirbt Lanner und Strauß scheint nun konkurrenzlos der Walzerkönig Wiens und Europas zu sein. Doch unerwartet tritt der für ihn schärfste Konkurrent auf: sein eigener Sohn.

 

Strauß privat: Strauß gegen Strauß

Strauß hatte am 11. Juli 1825 die Wirtstochter Anna Streim geheiratet, am 25.Oktober 1825 kommt Johann Strauß-Sohn zur Welt; es folgten noch fünf weitere Geschwister. Der Vater unterbindet strikt jede musikalische Aktivität des hochbegabten Sohnes, die in Richtung Berufmusiker gehen könnte. Zwar dürfen Johann und sein Bruder Josef Klavierunterricht nehmen, doch das Violinspiel ist ein absolutes Tabu. Das Verbot macht deutlich, dass Strauß-Vater Angst vor einem möglichen Konkurrenten hat und weniger rationale Gründe wie der des schwierigen Broterwerbs als Musiker eine Rolle spielen. Ein weiteres Indiz dieses Konkurrenzverhältnisses ist, dass Strauß-Vater diese Bezeichnung niemals benutzt hat und nicht bereit ist, die Rolle eines Älteren einzunehmen.

 

Doch Johann Strauß-Sohn verfolgt zielsicher und konsequent, mit der Unterstützung seiner Mutter den Weg zum „Walzerkaiser“.  Nicht ohne Einfluss für diese Entscheidung mögen die Familienverhältnisse im Hause Strauß gewesen sein. Im Herbst 1935, als Anna Strauß ihren dritten Sohn Eduard zur Welt bringt, entdeckt sie, dass ihr Mann sie mit der Modistin Emile Trambusch betrügt und sich offen zur Vaterschaft deren Kindes, gleichzeitig mit Eduard geboren, bekennt. Tief verletzt erklärt Anna Strauß ihre Ehe für beendet, Strauß zieht mit der Geliebten zusammen und gründet eine zweite Familie mit sieben Kindern.

Für den 10-jährigen Johann haben diese Verhältnisse weitreichende Folgen: er ist entschlossen, den als Musiker bewunderten Vater als Geiger, Dirigent und Komponist zu übertreffen.

 

Am 15. Oktober 1844 ist es soweit: Johann Strauß Sohn tritt auf der „Soiree dansante“ im Casino von Dommayer in Hietzing gegen den Vater an und hat sein triumphales Debüt als Komponist und Geiger.

Der Wiener Journalist Franz Wiest bringt die öffentliche Meinung pointiert zum Ausdruck: „Gute Nacht,  Lanner! Guten Abend, Strauß Vater! Guten Morgen, Strauß Sohn!“

 

Noch bis zum frühen und überraschenden Tod von Johann Strauß-Vater, am 25. September 1849, halten die Konkurrenzkämpfe zwischen Vater und Sohn an, doch Strauß-Vater behauptet sich trotz großer Erfolge des Sohnes weiterhin als der Walzerkönig.

 

 

- Der Teil II der Johann-Strauß-Duologie verspricht die Fortsetzung dieses Walzer-Familien-Dramas.